Tief in einem Berg in Mittelitalien legen Wissenschaftler eine Falle für dunkle Materie. Der Köder? Ein großer Metalltank mit 3,5 Tonnen (3.200 Kilogramm) reinem flüssigem Xenon. Dieses Edelgas ist eine der saubersten und strahlungssichersten Substanzen der Erde und daher ein ideales Ziel, um einige der seltensten Partikelwechselwirkungen im Universum einzufangen.
Es klingt alles vage unheimlich; Christian Wittweg, ein Doktorand an der Universität Münster in Deutschland, der seit einem halben Jahrzehnt mit der sogenannten Xenon-Kollaboration zusammenarbeitet und jeden Tag zur Arbeit geht, fühlt sich an, als würde er einem Bond-Bösewicht einen Besuch abstatten. Bisher haben die Bergbewohnerforscher keine dunkle Materie eingefangen. Kürzlich gelang es ihnen jedoch, eine der seltensten Teilchenwechselwirkungen im Universum zu entdecken.
Laut einer neuen Studie, die heute (24. April) in der Zeitschrift Nature veröffentlicht wurde, hat das Team von mehr als 100 Forschern zum ersten Mal den Zerfall eines Xenon-124-Atoms in ein Tellur-124-Atom durch einen äußerst seltenen Prozess gemessen Doppelelektroneneinfang mit zwei Neutrinos. Diese Art des radioaktiven Zerfalls tritt auf, wenn der Kern eines Atoms gleichzeitig zwei Elektronen aus seiner äußeren Elektronenhülle absorbiert und dadurch eine doppelte Dosis der als Neutrinos bezeichneten gespenstischen Teilchen freisetzt.
Durch die erstmalige Messung dieses einzigartigen Zerfalls in einem Labor konnten die Forscher genau nachweisen, wie selten die Reaktion ist und wie lange es dauert, bis Xenon-124 zerfällt. Die Halbwertszeit von Xenon-124 - das heißt, die durchschnittliche Zeit, die eine Gruppe von Xenon-124-Atomen benötigt, um sich um die Hälfte zu verringern - beträgt etwa 18 Sextillionen Jahre (1,8 x 10 ^ 22 Jahre), ungefähr das 1 Billion-fache des aktuellen Alters des Universums.
Dies ist die längste Halbwertszeit, die jemals direkt in einem Labor gemessen wurde, fügte Wittweg hinzu. Nur ein nuklearer Zerfallsprozess im Universum hat eine längere Halbwertszeit: der Zerfall von Tellur-128, dessen Halbwertszeit mehr als 100-mal länger ist als die von Xenon-124. Dieses verschwindend seltene Ereignis wurde jedoch nur auf Papier berechnet.
Ein kostbarer Verfall
Wie bei den häufigeren Formen des radioaktiven Zerfalls tritt ein Doppelelektroneneinfang mit zwei Neutrinos auf, wenn ein Atom Energie verliert, wenn sich das Verhältnis von Protonen und Neutronen im Atomkern ändert. Der Prozess ist jedoch viel wählerischer als die üblichen Zerfallsmodi und hängt von einer Reihe von "riesigen Zufällen" ab, sagte Wittweg. Wenn buchstäblich Tonnen von Xenonatomen zur Verfügung stehen, ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese Zufälle in einer Reihe stehen, sehr viel höher.
So funktioniert es: Alle Xenon-124-Atome sind von 54 Elektronen umgeben, die sich in dunstigen Schalen um den Kern drehen. Zwei-Neutrino-Doppelelektroneneinfang tritt auf, wenn zwei dieser Elektronen in kernnahen Schalen gleichzeitig in den Kern wandern, gegen ein Proton pro Stück stoßen und diese Protonen in Neutronen umwandeln. Als Nebenprodukt dieser Umwandlung spuckt der Kern zwei Neutrinos aus, schwer fassbare subatomare Teilchen ohne Ladung und praktisch ohne Masse, die fast nie mit irgendetwas interagieren.
Diese Neutrinos fliegen in den Weltraum, und Wissenschaftler können sie nur messen, wenn sie äußerst empfindliche Geräte verwenden. Um zu beweisen, dass ein Zwei-Neutrino-Doppelelektroneneinfangereignis aufgetreten ist, untersuchten die Xenon-Forscher stattdessen die leeren Räume, die im zerfallenden Atom zurückbleiben.
"Nachdem die Elektronen vom Kern eingefangen wurden, sind noch zwei freie Stellen in der Atomhülle", sagte Wittweg. "Diese offenen Stellen werden aus höheren Schalen gefüllt, wodurch eine Kaskade von Elektronen und Röntgenstrahlen entsteht."
Diese Röntgenstrahlen lagern Energie im Detektor ab, was die Forscher in ihren experimentellen Daten deutlich sehen können. Nach einjähriger Beobachtung entdeckte das Team fast 100 Fälle von Xenon-124-Atomen, die auf diese Weise zerfallen, und lieferte den ersten direkten Beweis für den Prozess.
Diese neue Erkennung des zweit seltensten Zerfallsprozesses im Universum bringt das Xenon-Team der Suche nach dunkler Materie nicht näher, beweist jedoch die Vielseitigkeit des Detektors. Der nächste Schritt in den Experimenten des Teams besteht darin, einen noch größeren Xenon-Tank zu bauen, der mehr als 8,8 Tonnen (8.000 kg) Flüssigkeit aufnehmen kann, um noch mehr Möglichkeiten zur Erkennung seltener Wechselwirkungen zu bieten, sagte Wittweg.